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Sie haben Ihr Ziel erreicht
Der Navihersteller Tomtom profitiert vom Bietergefecht um den größten Konkurrenten. Außerdem hat sich das niederländische Unternehmen in den letzten Jahren gewandelt: Statt auf Karten setzt es nun auf Sicherheit.
München Einmal vom Weg abgekommen, ist es unglaublich schwer, wieder die richtige Richtung einzuschlagen — auch als Navihersteller. Niemand weiß das besser als Tomtom-Chef Harold Goddijn. Vor zehn Jahren war sein Konzern ein Star in der internationalen High-Tech-Szene. Mit dem Aufstieg der Smartphones aber stürzte das niederländische Unternehmen ab. Die kleinen elektronischen Wegweiser waren auf einmal nur noch schwer verkäuflich.
Nun aber taucht Tomtom ebenso unvermittelt wie fulminant wieder auf. Seit Jahresbeginn ist der Aktienkurs um mehr als 80 Prozent in die Höhe geschossen. „Wir hatten einige harte Jahre. So langsam aber zahlen sich unsere Investitionen aus“, sagte Goddijn im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Das Wachstum kehrt zurück.“
Wettbewerb beflügelt Navi-Hersteller
Fast möchte man im Navi-Jargon sagen: Sie haben ihr Ziel erreicht. Doch das ist lediglich die halbe Wahrheit. Denn das Börsenhoch ist nicht allein Goddijns strategischem Geschick zu verdanken. Die Firma aus Amsterdam profitiert auch vom lebhaften Bieterwettbewerb um Nokias Kartendienst „Here“. Autohersteller und US-High-Tech-Riesen streiten um die Sparte, die wertvolle Daten für das autonome Fahren liefert – eines der größten Zukunftsprojekte für Firmen wie Audi und BMW, aber auch für den amerikanischen Taxidienst Uber.
Der wichtigste und einzige unabhängige Wettbewerber von „Here“ ist Tomtom. Und so ist die Aktie nach Jahren des Siechtums auf einmal wieder in den Fokus der Investoren gerückt. Das Kalkül: Wer bei Nokia „Here" nicht zum Zuge kommt, der könnte die niederländische Tomtom schließlich übernehmen.
Konzern zuletzt grundlegend umgebaut
Seit Monaten rangeln die Bieter um „Here“, im Gespräch ist ein Preis von mehreren Milliarden Euro. Vorstandschef Goddijn betrachtet das mit Genugtuung: „Das bringt uns Aufmerksamkeit und macht unseren strategischen Wert deutlich.“ Analysten sehen das ähnlich: Der Kursanstieg sei nur logisch, argumentieren die Banker von ING.
Ihre Rechnung: Wenn der kolportierte Preis von gut drei Milliarden Euro für die Nokia-Sparte nur halbwegs stimme, dann sei die Tomtom-Aktie mindestens elf Euro wert. Addiere man die anderen Tomtom-Bereiche noch dazu, dann seien sogar mehr als 20 Euro realistisch. Derzeit pendelt der Aktienkurs um die Marke von knapp zehn Euro.
Automatisiertes Fahren als Zukunftsgeschäft
Der 55-jährige Goddijn führt Tomtom seit 14 Jahren, hat Höhen und Tiefen miterlebt. Vor allem aber hat er den Konzern in den vergangenen Jahren kräftig umgebaut. Mit den Navis, den Landkarten des angehenden 21. Jahrhunderts, hat Goddijn zwar nicht gebrochen. Sie erwirtschaften nach wie vor den größten Teil des Konzernumsatzes von gut 200 Millionen Euro im ersten Quartal. Doch er hat die Endkundensparte erweitert und bietet jetzt auch Sportuhren sowie Action-Kameras an.
Strategisch noch viel wichtiger aber: Der Holländer hat das Großkundengeschäft aufgebaut. Auf der einen Seite managt Tomtom große Fahrzeugflotten, auf der anderen verkaufen die Niederländer im großen Stil Kartendaten. Auch Apple kauft bei Tomtom ein.
Die Geodaten werden immer wichtiger, schließlich arbeiten die Autohersteller fieberhaft am zumindest teilweise automatisierten Fahren, das eines Tages zum völlig autonomen Fahren führen soll. Dazu brauchen sie präzise und stets aktuelle Straßeninformationen.
Goldene Jahre hinterlassen große Fußspuren
„Früher haben wir Daten gesammelt, um die Leute auf dem schnellsten Weg von A nach B zu bringen“, erläutert Goddijn. So entstanden die Karten für die heutigen Navis. „Jetzt erfassen wir Informationen, um die Fahrzeuge sicher auf der Straße zu halten.“
Tomtom ist mit vielen großen Konzernen im Geschäft, mit Bosch etwa oder Volkswagen, mit Hyundai und Fiat. Daher betont Goddijn: „Es ist wichtig, unabhängig zu sein.“
Andererseits: Einem Übernahmeangebot stünde er wohl nicht von vornherein ablehnend gegenüber. „Wir haben die Interessen der Investoren im Blick“, meint der Manager. Von einer guten Offerte würde nicht zuletzt er selbst profitieren. Goddijn hält elf Prozent der Anteile.
Erste Quartal war ein verlustreiches
Der Kursanstieg der vergangenen Monate freilich ist eine Wette auf die Zukunft. Denn noch steht das automatisierte Fahren erst ganz am Anfang; entsprechend gering sind die Umsätze, hoch dagegen die Investitionen. Im ersten Quartal schrieb Tomtom daher sogar einen Verlust von fast sieben Millionen Euro.
Das soll sich 2016 ändern. Da sollen die Einnahmen kräftig steigen, meint Goddijn. Doch es wird vermutlich noch ein bisschen dauern, ehe Tomtom wieder an die besten Zeiten Ende des vergangenen Jahrzehnts anschließt. 2007 erwirtschaftete der Konzern bei 1,7 Milliarden Euro Umsatz einen Gewinn von 317 Millionen. Vergangenes Jahr lagen die Erlöse bei 950 Millionen Euro, unterm Strich blieben 22 Millionen übrig. Immerhin, an der Börse haben die Niederländer die Erfolgsspur wiedergefunden.