18.02.2021
Digitaler Kartendienst in der Sackgasse
Die Autobauer BMW, Audi und Daimler haben Milliarden in Here investiert, um beim autonomen Fahren unabhängig von Google zu bleiben. Der Traum ist geplatzt, Insider bezeichnen die Lage als "kritisch". Der Chef sucht neue Geldgeber.
Das Datenhaus Here, 2015 von Audi, Daimler und BMW für 2,6 Milliarden Euro von Nokia übernommen, sollte zum Bollwerk der deutschen Autoindustrie im Kampf gegen Google um Roboterautos und Digitalisierung werden. Here-Chef Edzard Overbeek (53) beschwor das "gewaltige Potenzial" auch abseits der Branche, man träumte von einer Vervierfachung der Umsätze.
Der Traum ist geplatzt. Der Umsatz sinkt, erreichte 2020 nicht einmal eine Milliarde Euro, weniger als 2015. Seit der Übernahme haben sich über 1,1 Milliarden Euro Verlust angehäuft. Einige Haupteigner verlieren die Lust und wollen massiv sparen. Die Lage sei "kritisch", sagen Insider.
Im Kern der Misere stehen die HD-Karten fürs autonome Fahren. Mit ihnen sollte Here den deutschen Autokonzernen die Unabhängigkeit sichern – die strategische Rationale für den Kauf von Here. Overbeek investierte Hunderte Millionen Euro in die Technologie.
Doch das autonome Fahren – und damit auch die erwarteten Einnahmen – kommt nicht nur viel später als erwartet. Es ist sogar unklar, ob Here dazu überhaupt noch etwas beitragen kann.
Die führenden Hersteller autonomer Fahrsysteme erstellen ihre Karten in Eigenregie. Und die Roboautos halten ihre Karten selbst aktuell. Nicht nur die Google-Ausgründung Waymo geht so vor, sondern auch Argo AI, das Gemeinschaftsunternehmen von Volkswagen und Ford. Da hilft es wenig, dass Here HD-Karten für die Fahrassistenz der neuen Mercedes-S-Klasse liefern darf.
Den deutschen Herstellern wird die Sache langsam zu teuer. Sie haben ihre Anteile inzwischen teils an Wettbewerber, Zulieferer und Technologieunternehmen weiterverkauft (siehe Grafik "In deutscher Hand") und damit sogar Geld verdient. Als Overbeek zuletzt intern für weitere Investitionen warb, fand er nur bei kleineren Eignern Unterstützung. Und am Ende musste er versprechen, 2021 keinen Verlust mehr zu machen.
Here ist nicht das einzige mit Aplomb gestartete Joint Venture der Autohersteller, das nicht recht vorwärtskommt. BMW und Daimler überlegen, Teile ihrer Carsharing- und Taxiapp-Allianz zu verkaufen. Das Ladesäulenunternehmen Ionity – beteiligt sind die großen deutschen Hersteller, Hyundai und Ford – wird längst nicht so schnell aufgebaut wie gedacht. Die Ära der Mobilitätskooperationen könnte frühzeitig enden.
Für Here kommt der Kostendruck zur Unzeit. Das Unternehmen tut sich auch im klassischen Navigationsbereich zunehmend schwer. In der Branche gelten die Google-Systeme den Here-Angeboten als weit überlegen. GM und Ford gehen zu Google, wie zuvor schon Volvo, der Peugeot-FCA-Schöpfung Stellantis und Renault-Nissan; die zu erwartenden Umsatzeinbußen hält die Here-Führung für "bedrohlich" .