Großkapital macht Kasse: Börsen vor dem Absturz
Michael Brückner
Die Börsen werden noch in diesem Jahr massiv einbrechen. Davon gehen zahlreiche Insider in Frankfurt und an anderen Finanzplätzen aus. Die institutionellen Anleger wollen Kasse machen und satte Gewinne mitnehmen. Umstritten ist nur das Timing: Droht der Crash schon im Frühjahr – oder erst im Herbst nach den Bundestagswahlen? Private Anleger sollten nicht auf eine immerwährende Hausse setzen, sondern ebenfalls schon mal daran denken, Gewinne mitzunehmen, bevor es dazu zu spät ist.
Nach außen hin geben sie sich betont optimistisch. Die Chefs der Großbanken und die von ihnen bezahlten Analysten wollen partout keine Blase sehen – weder auf dem Immobilienmarkt noch an den Börsen. Doch sobald sie unter sich sind, sprechen sie schon mal Klartext. Seit einigen Wochen wird immer häufiger über einen baldigen Börsencrash diskutiert. Besonders der deutsche Markt sei akut gefährdet, ist hinter vorgehaltener Hand zu hören.
Dafür gibt es einen guten Grund: Vor knapp einem Jahr lag der deutsche Aktienindex DAX bei 5.900 Punkten. Vor wenigen Wochen kletterte er dann über die 8.000er-Marke. Von einer wahren »Bilderbuch-Hausse« sprechen Marktteilnehmer. Die Großinvestoren reiben sich die Hände, doch sie wissen natürlich, dass es nun allmählich Zeit wird, Kasse zu machen und die schönen Gewinne mitzunehmen. Auf der Strecke bleiben dann wieder einmal die Kleinanleger, die erst vor wenigen Wochen einstiegen, weil interessierte Kreise ihnen erzählten, nur mit Aktien könne man derzeit Geld verdienen.
Dass es in Kürze an den Börsen abwärts gehen wird, erscheint derzeit sehr wahrscheinlich. Unabhängige Experten diskutieren lediglich noch darüber, ob es zu einer scharfen Korrektur oder zu einem ausgewachsenen Crash kommen könnte. Der Harvard-Ökonom und US-Präsidenten-Berater Martin Feldstein rechnet mit einem Crash an den wichtigsten Börsen der Welt. Auch für die Immobilienmärkte sagt Feldstein markante Preisstürze voraus.
Pier Carlo Padoen, Chefökonom der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), warnte unlängst, die Börsenkurse seien vor allem im Euro-Raum »komplett aus den Fugen geraten«. Die Preise für die Dividendenpapiere ließen sich nicht mehr mit der realen Wirtschaft begründen. Die logische Konsequenz einer solchen Überhitzung ist ein Börsencrash.
Tatsächlich werden die Aktienkurse schon seit Langem nicht mehr von der Realwirtschaft befeuert, sondern von dem billigen Geld der Zentralbanken. Unvorstellbare Summen strömten in den vergangenen Monaten in Aktien und Immobilien. Beide Märkte erweisen sich als »Rückhaltebecken« für die Liquiditätsflut. Doch diese Funktion können sie nur vorübergehend übernehmen. Wenn die Preisblasen an den Aktien- und Immobilienmärkten platzen, werde sich die Situation in Europa verschärfen, warnt die OECD. Dann könnten weitere Bankenrettungen erforderlich sein. Und vermutlich neue staatliche Zwangsabgaben.
Lange Zeit haben Regierungspropagandisten und Mainstreammedien bei den Sparern und Anlegern die Illusion genährt, Deutschland sei ein wirtschaftlicher Fels in der Brandung. Da mögen andere Euro-Staaten und deren Banken reihenweise pleitegehen, da mag ein Rettungspaket nach dem anderen auf Kosten künftiger Generationen geschnürt werden – das alles kann Deutschland nicht erschüttern. Als Wachstumsmotor und angeblicher Euro-Profiteur habe die Bundesrepublik das Potenzial, ganz Europa aus der Krise zu ziehen, so lautete bislang die Botschaft.
Die jüngsten Zahlen belegen indessen: Auch die deutsche Konjunktur kann sich den Konsequenzen der Euro-Krise nicht länger entziehen. Sie trifft den größten Nettozahler der EU jetzt mit voller Wucht. Kein Wunder, schließlich gibt es seit 2011 im Euro-Raum kein Wachstum mehr. Im Gegenteil: Die Krisenstaaten stürzen immer tiefer ins Chaos. Und schon bald dürften weitere Staaten in die Pleite abdriften.
Die Stimmung verschlechtert sich rapide: Zum zweiten Mal in Folge sank im April der Ifo-Geschäftsklima-Index, für den 7.000 deutsche Unternehmen nach ihrer Einschätzung der weiteren Konjunkturentwicklung befragt werden. Der Einbruch dieses Stimmungsindikators fiel deutlich stärker aus als im Vorfeld angenommen. Fünf Jahre nach Ausbruch der Euro-Krise gerät nun auch die deutsche Wirtschaft in Schwierigkeiten. Sogar Vorzeige-Unternehmen wie Daimler und VW meldeten erhebliche Gewinneinbrüche. Grund ist in erster Linie die schlechte Wirtschaftslage in den europäischen Krisenstaaten, die nun voll durchschlägt. »Jetzt beginnt das große Zittern um Deutschland«, titelte Die Welt in ihrer Ausgabe vom 25. April.
Doch merkwürdig – auf schlechte Konjunkturzahlen reagierte der DAX in den vergangenen Tagen eher positiv. Verkehrte Welt? Keineswegs, eher ein Hinweis darauf, was derzeit die Kurse treibt. Die Märkte spekulieren angesichts eingetrübter Wachstumserwartungen auf eine neuerliche Zinssenkung durch die EZB. Und tatsächlich sieht es danach aus, dass die Europäische Zentralbank schon kurzfristig die Geldschleusen weiter öffnen könnte.
Die Nachrichten aus den USA klingen ebenfalls wenig verheißungsvoll. Dort lagen in den vergangenen Wochen die Bestellungen von langlebigen Wirtschaftsgütern erheblich unter den Erwartungen von Experten. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass die US-Konjunktur weiterhin höchst fragil ist. Die Politik des billigen Geldes hat jedenfalls nicht zu einer anhaltenden Steigerung der Nachfrage beigetragen. Auch an der Wall Street droht daher schon bald ein deutlicher Rückschlag. Die Börse ist jedenfalls hypernervös. Da genügte schon eine über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete Falschmeldung, um die Kurse kurzfristig um 200 Milliarden US-Dollar einbrechen zu lassen (KOPP-online berichtete).
Bleibt die Frage, wann die beschleunigte Talfahrt an den Börsen beginnen könnte. Mancher Marktbeobachter erinnert sich an eine alte Börsenweisheit: »Sell in May and go away«. Demnach stünde der Crash unmittelbar bevor. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Großinvestoren die nächste Verschärfung der Euro-Krise abwarten, um Kasse zu machen. Das könnte im Mai oder Juni eintreten. Andere Marktbeobachter gehen zunächst von einer Seitwärtsbewegung mit jeweils überschaubaren Verlusten und Gewinnen aus, bevor dann im Herbst der große Crash kommt. Auf dieses Szenario dürfte die Bundesregierung setzen, denn dann werden die Bundestagswahlen schon vorüber sein. Wann der Crash kommt, ist eine Frage von sekundärer Bedeutung. Private Anleger sollten nur wissen, dass er kommen wird, weil die Großinvestoren ihre Schäfchen in Sicherheit bringen wollen.